Mein Mitleid

Na, Ihr Übergroßen, Ihr zart über dem Boden Schwebenden, wie lebt es sich eigentlich als Übermensch? Wie fühlt es sich an, als jemand, der seinen ganzen Glanz einer Technologie verdankt? Fühlt man sich überlegen, obwohl die eigene Leistung bei diesem Schwanzvergleich nicht einmal eine untergeordnete Rolle spielt? Sie besteht einzig (leider nicht so allein, wie Ihr es gerne hättet) darin, als Konsument bewusst eine Entscheidung getroffen zu haben. Glaubt Ihr zumindest.

Dabei stört es Euch nicht einmal einer - natürlich den völlig individuellen Anschein wahrenden -Massenmaschinerie unterworfen zu sein, die Ihr kapitalistisch auf die Spitze getriebenes Vorbild im blind machenden Wesen der Religion findet. Auch der von Euch so freiwillig und mit einem feisten Grinsen im Gesicht hoch bezahlte Mehrwert ist ein schöner Schein. Eine schicke Fassade die Euch, das eigene Unvermögen kaschierend, auf ein kleines, durchgestyltes Treppchen verhilft, von dem aus Ihr Eure in die Luft gereckten Näschen von ein wenig Höhenluft umschmeicheln lassen könnt.

Ihr erwartet jede Neuerscheinung, jede materielle Blähung Eures Gottes mit unkritisch debil verzückten Gesichtern und willig gezückten Portemonnaies und feiert den Heiland, der Euch dies alles beschert hat. Der Euch befreit hat von der Tyrranei des schnöden Massengeschmacks, der den Pöbel bedient und ihm lediglich die technologischen Reste zum Fraß vorwirft, der ihn mit rückschrittiger Technik verblendet, auf dass Ihr - die Erleuchteten - noch heller strahlen könnt. Ihr seid so von Eurem eigenen Geschmack begeistert, trunken vor Arroganz und der – ich bin sicher, Ihr meint es ernst – Gier die Ersten zu sein, dass Ihr gar nicht merkt, dass der einzige Unterschied zwischen Ihnen und Euch darin  besteht, dass Euer Gott sich das elitäre Gefühl, welches Ihr Euch nur selber vorgaukelt, von Euch teuer bezahlen lässt.

Aber es ist ja auch gut so. Man erkennt Euch. Man kann Euch ausweichen. Man kann sich herrlich mit Euch amüsieren. Es ist ja nicht so, dass Ihr lediglich Eure Sakrilege, die Euch Euer Herr gegeben hat, benutzt, anstarrt, vergöttert, über sie redet und sie in Eurer Welt zu etwas Magischem erhebt. Nein, zu meiner und unser aller Freude tragt Ihr sie mit Euch herum, Ihr verkleidet Euch mit ihnen, Ihr schmückt Euch – so denkt Ihr – mit ihnen. In angesagten Cafés sitzt Ihr herum, meist leider allein, gebrandmarkt mit seinem blass glimmenden Zeichen, trinkt Latte Macchiato, tragt 80er-Jahre-Polohemden mit – wenn Ihr ganz wild drauf seid – hochgeschlagenem Kragen, die weißen Kabel hängen Euch träge aus den brav und modisch frei geschnittenen Ohren, die – ob sie wollen oder nicht – beschallt werden mit Konsens- und Gebrauchsmusik zwischen Café del Mar und längst verklungener Zukunftsmusik wie Jean Michelle Jarre.

Wann immer man einen der Euren erblickt sieht es geschäftig aus, als arbeite er rund um die Uhr. Stets bemüht etwas Neues, Großes zu erschaffen. Dabei surft er zumeist doch nur den großen Einfällen anderer hinterher, stets bestrebt sich im Glanze der Kreativen zu sonnen, noch ein wenig knuspriger zu erscheinen. Unfassbar oft verbirgt sich fürwahr ein Werber (oder einer von denen, die immer noch glauben, dass dies ein aus einem der folgenden Gründe anstrebenswerter Beruf wäre: ein Gehalt jenseits der Gut&Böse-Grenze, (Liechtenstein ich komme), eine wünschenswerterweise gerade 18 gewordene traummaßgebeutelte, mindestens aber 15 Jahre jüngere Frau, ein Wagen, der definitiv zu cool ist, um ihn noch umweltfreundlich nennen zu müssen). Es ist leider wirklich unfassbar oft ein Werber, oder jemand der gerne einer wäre, hinter dem blassen Schein jenes Gerätes, bei dem Weniger, pardon, Klarer mehr kostet. Und nicht weniger oft benötigt er Aufmerksamkeit, Bewunderung und – so eine Schmach – eine (eigene) Idee. Dummerweise hat ihm aber beim Verkaufsgespräch oder in der Selbstliebegruppe seines favorisierten Markenartiklers niemand darauf hingewiesen, dass Ideen, Kreativität, Eigenständigkeit, ein eigener Wille, selbstständiges – besonders unabhängiges – Denken, ja eine verdammte Persönlichkeit nicht als App verfügbar sind.

Was also nun tun? Schnell mal die üppig vorhandenen „Freunde“ auf Facebook abchecken? Ach nein, geht ja nicht, die sind schließlich gerade dabei, ihren Bauernhof auf Vordermann zu bringen oder sich gegenseitig den Arsch zu lecken – und das gut zu finden. Wo soll nur die entscheidende Idee herkommen? Weder Jean-Michelle noch Café del Mar bringen Rat, also hilft nur noch eins: Ablenkung! Da vorne sitzt ein Feind. Man erkennt ihn schon daran, dass man ihn kaum erkennt. Ein Gesichtsloser, der sein Fenster geöffnet hält, wie kann er nur? Schließlich ist es die Verschlossenheit, die verschworene Einheit, das Wissen um die bessere, die wegweisende und vor Allem nur Eingeweihten erschließbare Technologie, die spießige Besserwisser zur Elite macht.

Um Himmels Willen, was wäre, wenn jeder plötzlich einsähe, welch Potential in dieser Geheimwissenschaft steckt? Wäre der Eingeweihte plötzlich gar kein Opinion Leader mehr? Gäbe es von jetzt auf gleich keine Front mehr, die es aufrecht zu erhalten lohnen würde? Woher sollte der minderbemittelte, Faulobst liebende Freizeitexistenzialist nur die Abgrenzung nehmen, die er doch so arg für sein leider zu kurz, zu klein geratenes, ... aber lassen wir das, ... für sein – und es ist fast immer ein „er“ - wie auch immer geartetes Ego benötigt? Tja, scheiße. Sehen wir es einmal positiv. 
Aber erst im nächsten Teil der Apfelsaga ...

Reprise von derherrgott - 20. Juli 2010

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